Die neue Anti-Bewegung von rechts am Beispiel Gendern

Warum die Leute gegen das Gendern sind und warum sie “woke” negativ betrachten. Eine These, die tiefer greift und eigentlich weniger mit der Sprache selbst zu tun hat.

Es ist schon sehr bemerkenswert, wie sich neuerdings einige gesellschaftlichen Kräfte gegen jegliche Veränderung stellen. Sind sie einfach konservativ? Das ist nur ein Teil der Geschichte. Da kommt noch ein Stückchen hinzu.

Gegen alles, was postmodern erscheint.

Die Zeitenwende ist längst vor der Rede von Bundeskanzler Scholz angesichts des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine eingetreten. Die Forschenden gehen davon aus, dass die Postmoderne von den 68ern eingeläutet wurde. Aber erst langsam wirken sich die Brüche, die diese Zeitenwende implizieren, auf die Gesellschaft aus. Das ändert selbstredend auch die Individuen in dieser Epoche – mit ihren Ansichten und Vorstellungen. Es ist ein Wandel und wie bei jedem Wandel gibt es Leute, die sich dem entgegenstellen. Dies gilt nicht nur für die technischen Entwicklungen, auch für die gesellschaftlichen Implikationen oder selbstverständlich für die Wissenschaft selbst.

Aber der Bruch scheint tiefer zu gehen. Es geht nicht darum, dass Frauen jetzt auch Hosen tragen dürfen. Es geht um faktische Gleichstellung aller Menschen in der Gesellschaft. Es geht um den Privilegienverlust. Das Wahlrecht für Minderjährige, die ewige Drohung der Menschen aus anderen Ländern, die nicht von weißen dominiert werden oder das Ende des Kapitalismus stellen Gewohnheiten infrage. Ein anschauliches Beispiel ist das Gendern. Selbst jene, die sich als gebildet und liberal betrachten, verwehren sich dem Wandel und genieren sich nicht, sich mit jenen Kräften gemein zu machen, die Ehre, Tradition und Vaterland hochhalten. Das sollte ihnen allerdings ein Stoppschild sein. Aber wieso tun sie das?

Gegen das Gendern wird alles aufgeboten. Es verhunze die Sprache. Die Sprache war nie ein fixes Kommunikationsmedium, es war immer schon etwas Dynamisches. Das Wort geil entstand beileibe nicht in den 80er Jahren und dennoch erschien es mir als Modewort, welches die ältere Generation sinngemäß als neumodischer Scheiß titelte. Es wandelte seine Bedeutung, wie auch das Wort toll, das mal verrückt hieß. Das ist eigentlich das Hauptargument mit diversen Seitenlinien wie nicht les- und schreibbar oder derlei mehr. Es behindere Lernschwache beim Erwerb, was dann gleichermaßen für eine elaborierte Sprache gelten müsste. Und dann war da noch die angemahnte Sprachpolizei, welche sich größtenteils in Form selbsternannter Hüter*innen der Muttersprache auf dem Anti-Feld konzentrieren.

Man müsste annehmen, dass sich vor allem alte, weiße Männer gegen diese und andere postmoderne Entwicklungen stellen. Gegen den Wegfall ihrer Privilegien und Macht, das wiederholt sich in der Geschichte immer, wehren sie sich selbstverständlich. Niemand gibt gerne Macht ab. Aber es stehen ihnen plötzlich auch Personen zur Seite, die sich als liberal betrachten. Mit liberal ist nicht die Partei FDP, deren Politik neoliberal ist, gemeint, sondern vorzugsweise jene 68er. Durch den Wegfall der Frage der Klassenzugehörigkeit, ein Denken der Moderne, oder vielmehr der Implikationen aller Privilegien stehen auch sie in der Kritik. Es geht also nicht nur um reiche, alte, weiße Männer, sondern alle Männer, alle Heterosexuellen. Fundamentalkritik jeglicher Normativität. Die große Mehrheit, die ihr Leben danach ausgerichtet hat, ist nun betroffen. Moral ist vielleicht auch doch betroffenheitsabhängig. Aber es ist womöglich mehr als das.

Meine Arbeitsthese ist, dass die Menschen, die ihr Leben lang auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden haben, es plötzlich nicht mehr tun. Sie standen immer sicher und richtig, aber müssen nun einen Standortwechsel vornehmen. Die Alt-68er waren immer die Guten, jetzt aber müsste es die Alt-68er*innen heißen. Auch hier wütete das Patriarchat. Es war eben allgegenwärtig, versteckt in der foucault’schen Bio-Macht.

Nun muss man ihnen auch zugutehalten, dass sie selbst Produkte ihrer Zeit sind. Ähnlich den Dinosauriern können sie von ihrer Sozialisierung nicht einfach abgehen. Doch das heißt nicht, dass man vor ihnen zurückschrecken sollte. Irgendwann wird dieser Wandel alle von uns erfassen oder isolieren. Aber eines Tages ist auch diese Generation den Weg alles Irdischen gegangen.

Und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann müssen wir erkennen, dass es Widersprüche gibt, dass es eine Diskrepanz zwischen den Idealen und der Realität gibt. Wir wissen ganz genau, wie die Welt in der Konsequenz unserer Werte aussehen sollte. Wir wissen genau, wenn wir mehr beanspruchen als andere. Wir wissen genau, dass die politischen Phrasen ein Zurechtbiegen der Welt sind. Wir wissen, dass wir uns selbst in die Tasche lügen, um unsere Privilegien zu behalten. Es ist nur so, dass wir uns daran gewöhnt haben – auch wenn das den Untergang an sich bedeutet.

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